FILMBILDER UND NACHTLANDSCHAFTEN
AUSSTELLUNG
30.4. bis 22.5.2022
KUNSTFORUM SURSEE
Harnischgasse 3
Vernissage
Samstag, 30.4.2022, 19.00 Uhr
Einführung: Bettina Staub
Bilder: Stefan Vonwil, Christian Hartmann
Text zur Ausstellung von Bettina Staub, Kunsthistorikerin und Kuratorin
Robert Müllers Ausstellung «Filmbilder und Nachtlandschaften» gibt Einblick in Fragestellungen, die ihn in der unmittelbaren Gegenwart beschäftigen. Sie zeigt ihn von einer sehr persönlichen Seite und macht seine Arbeit sichtbar, die neben seinem national und international ausstrahlenden Filmschaffen und grossen, interdisziplinär angelegten Projekten, wie jetzt gerade «Schratteflue», oft im Hintergrund steht. Robert Müller ist unserer Region immer verbunden geblieben, vielleicht gerade weil er in seinem Atelier Schmiede in Buttisholz Ruhe und Freiräume findet, die seiner Kunst Entfaltungsmöglichkeiten geben.
Narration und Abstraktion sind zwei gegensätzliche Pole, die sich nicht verbinden lassen, aber trotzdem in Verbindung stehen. Sie wirken wie ein Pendel, das am Endpunkt seiner Bewegung einen Impuls bekommt und in die Gegenrichtung zurückschwingt. Am Punkt der grösstmöglichen Abstraktion – der vollkommenen Leere – ist nur die Umkehr möglich. Auch wenn alles erzählt ist, braucht es ein Zurück, ein Weglassen, weil sonst Nuancen und Geheimnisse getilgt werden.
Narration und Abstraktion sind Robert Müllers künstlerische Strategien. So scheint es ganz selbstverständlich, dass er als Filmemacher Geschichten erzählt und als bildender Künstler zur Essenz von Formen und Strukturen gelangt, indem er sie reduziert und vereinfacht. Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht.
Wahrscheinlich haben einige von Ihnen Robert Müllers mit mehreren Preisen ausgezeichneten Film «Köhlernächte» im Kino gesehen. Gleichwertig neben den Geschichten der Köhler und der einen Köhlerin und dem Einblick in ihr Handwerk stehen die Kohlemeiler. Die filmische Begleitung des sorgfältigen Aufschichtens, Zudeckens und Abbrennens der urtümlichen Hügel mit ihrem geheimnisvollen Innenleben offenbart Robert Müllers bildhauerischen Blick. Er hält das Entstehen und Vergehen der Kohlemeiler fest, indem er sich ganz auf Form, Farbe, Struktur, Licht und Raum konzentriert. In dieser Reduktion verweisen die Meiler weit zurück und weit voraus auf Beginn und Ende des Universums.
Robert Müller hat sich seit seinem Film «Köhlernächte» intensiv mit dem Material Kohle beschäftigt. Diese Recherche fügt sich nahtlos ein in seine künstlerische Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit, die seit Jahrzehnten ein Fokus in seinem Schaffen ist.
Kohle als Stoff, der übrig bleibt, der die Strukturen des einstigen Lebens in sich trägt, federleicht und zerbrechlich, schillernd zwischen Nachtblau, Staubgrau und Schwarz. Kohle als Verweis auf Anfang und Ende, auf den unendlichen Kreislauf, dem wir uns nicht entziehen können.
Mit der Animationsskizze «Kohle», die Sie im mittleren Raum auf dem Bildschirm sehen können, hat Robert Müller zusammen mit dem Perkussionisten und Komponisten Fritz Hauser Kohle in bewegte und akustische Bilder umgesetzt. Tanzender, im Licht funkelnder Kohlestaub verdichtet sich zu kleinen, immer grösser werdenden Kohlestücken bis die Jahrringe und Strukturen des Holzes sichtbar werden. Die Kohle verflüssigt sich zu einer Art Urmaterie, aus der wiederum Kohlestücke und -staub hervorgehen. Fritz Hausers Musik führt hinein in die unvorstellbar weiten Dimensionen von Raum und Zeit, in die Werden und Vergehen eingebettet sind.
In demselben Raum hat der Künstler einen Kreis aus feinkörniger «Löschi» ausgelegt, also jenem Material, mit dem der Meiler zugedeckt wird, um ihn luftdicht abzuschliessen – darin eingetieft die kreisförmige Spur von Kohlekugeln. Kreis und Kugel als einfachste geometrische Figuren verbinden sich über Material und Farbe zu einer abstrakten Komposition von grosser Schlichtheit.
Im hintersten Raum hat Robert Müller Kohlestücke, die übrigens nur so gross sind, wenn sie direkt aus dem Meiler kommen, aufgeschichtet. Sie erinnern an Gesteinsformationen im Gebirge, die schon seit Jahrmillionen existieren, und verweisen gleichzeitig darauf, dass auch diese irgendwann der Vergänglichkeit unterworfen sind. Die Kohlehaufen stehen in Beziehung mit der benachbarten «Nachtlandschaft», festgefügte Volumina treffen auf zarte Linien, äussere Form auf innere Struktur.
Mehrere der raumspezifischen Arbeiten bestehen aus langen feinen und schwarz eingefärbten Stäben. Sie wirken wie dreidimensionale Zeichnungen, spiegeln also Robert Müllers bildhauerischen Blick, mit dem er seine Werke präzise im Raum verortet. Er beschreibt die Arbeiten als «räumliches Nachzeichnen» einer Landschaft. Erfahrungen aus der Schratteflue, der Karstlandschaft im Entlebuch, der jetzt im Mai und Juni ein dreiteiliges Kunstprojekt gewidmet ist, sind in die Stabzeichnungen eingeflossen.
Die Rhythmen in der Anordnung der Stäbe, die nur an die Wand angelehnt sind, sind inspiriert von einer Abfolge aus Felsformationen, Spalten, Schneefeldern, Abbrüchen und übersetzen sie gleichzeitig in ein abstraktes Bild. Während der Setzung der Stäbe verliert Robert Müller die Übersicht, er entscheidet sich nur für die Verdichtungen. Eine Ordnung ist unmöglich, spürbar bleibt nur das Bemühen um sie.
Im hintersten Raum begegnen wir einer abstrahierten Berglandschaft, die ebenfalls aus den zarten Stäben konstruiert ist. Der Bau dieses hoch fragilen Liniengerüsts war eine Herausforderung. Kleinste Verschiebungen hatten grösste Auswirkung auf die Statik. Zum Schluss der Arbeit hat Robert Müller sie so weit ausgedünnt und reduziert, dass sie jetzt nur noch aus tragenden Stäben besteht. Rechts hinten in der Ecke ist ein einzelnes Stabelement angelehnt, eine kleine ironische Notiz zum Prozess der Abstraktion.
Um die «Nachtlandschaft» zu erfassen, müssen wir sie aus möglichst vielen verschiedenen Perspektiven betrachten. Wir umgehen sie und folgen den Linien, die Dreiecke und Pyramiden in den Raum schneiden und spielerisch vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale wechseln.
Die beiden Werke «Schwarze Stäbe» und «Nachtlandschaft» stehen in einem so labilen Gleichgewicht, dass wir sie durch unsere Bewegung in Schwingung versetzen oder sogar beschädigen können. Sie stehen für unsere Welt der Gegenwart, die zerbrechlich geworden ist. Alte Gesetzmässigkeiten haben sich aufgelöst und innere Strukturen frei gelegt, von denen wir nicht wussten, dass sie so instabil sind.
Aus seiner ganz aktuellen filmischen Arbeit für das Projekt «Schratteflue» hat Robert Müller eine Reihe von Filmstills ausgewählt. Die multimediale Produktion stösst ins Innere des Berges mit seinem weitverzweigten Höhlensystem vor. Sie folgt Klängen und Geräuschen aus der Tiefe des Bergs und holt Fragmente von Mythen und Erzählungen ans Licht.
Filmstills sind ja immer eingefrorene Bilder aus einer Erzählung, Vorlauf und Fortsetzung der Geschichte sind unbekannt. Die bewusst sachlich gesetzten Titel wie z. B. «Schwimmende Frau in rotem Kleid» geben keinen Hinweis auf das Geschehen, verstärken aber die Ambivalenz der Szenerien. Wir blicken in die wasserumtoste Dunkelheit eines Raums, der in seinen Dimensionen undefiniert ist. Gibt es einen Boden, Wände, einen Ausgang? Kippt der Moment ins Festlich-Fröhliche oder in eine schreckliche Katastrophe?
Eine Strategie, um mit der Angst in einer sich rasant verändernden Gegenwart umzugehen, die sich zum Guten oder zum Schlechten wenden kann, ist das Erzählen. Die Menschen früherer Jahrhunderte bannten ihre Furcht vor der gefährlichen und rätselhaften Schratteflue mit Geschichten. Natürlich wäre es naiv zu glauben, wir könnten die existentielle Unsicherheit mit dem Erzählen von Geschichten aus der Welt schaffen. Robert Müller stellt uns Bilder zur Verfügung, in denen entweder ein narratives Element unsere Fantasie anregt oder die uns durch ihre Abstraktion zu einer Erkenntnis führen.
Bettina Staub, 30. April, 2022